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   Gedankenverloren

Habe gestern so gedankenverloren Worte auf dem Gehweg ausgelegt
- ein Kind fand sie und hat sie gelesen - sprang fröhlich davon ...
- ein alter Mann fand sie und fing an zu weinen ...
- eine junge Frau fand sie, blieb stehen, blickte um sich und hat sie schnell in ihrer Tasche verborgen ...
Heute habe ich sie wieder gefunden ... und sie sprachen zu mir von Hoffnung und Liebesaugenblicken ...

ng022009

   Nadine

Zu Beginn des Abends hatte er sie noch ab und zu wahrgenommen, war sein Blick für einen kurzen Augenblick an ihrer Gestalt hängen geblieben. Er war aber viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen um diese Momente tiefer in sich aufnehmen zu können. Er hatte schon damit begonnen all das Leben das ihn umgab gierig in sein Innerstes zu saugen, leere dunkle Weiten aufzufüllen und wusste zugleich dass all das nicht ausreichen würde - wie immer. Das Bier schmeckte an diesem Abend schahl, sein Magen verkrampfte sich und es würgte ihn manchmal. Das kannte er. Dann hielt er für eine Weile inne, nahm eine Zigarette aus der Schachtel, um sie gedankenverloren zwischen seinen Fingern zu drehen, bis er sie anzündete, bis sich sein Magen wieder beruhigt hatte. Manchmal spürte er eine Bewegung, einen kurzen Moment nur sah er sie dann an, rauchte weiter, bestellte Bier und trank weiter. Erstaunt nahm er irgendwann wahr, dass diese dichte, bis zur Atemlosigkeit sich aufdrängende Atmosphäre des Raumes ihm heute nichts anhaben konnte. So oft schon hatte er sich mit Ekel und Schweißausbrüchen abgewendet, hatte fluchtartig den Raum verlassen und musste doch immer wiederkehren. Irgendwann spürte er an jenem Abend wie sich seine Aufmerksamkeit auf sie richtete. Seine Gedanken verloren sich irgendwo, taumelten in Verzückung ihrer selbst, verstummten, kehrten mit einem unbekannten Echo wieder. Sie saß auf einem Barhocker, hatte ihren Körper leicht verdreht und blickte leer vor sich hin, betrachtete manchmal ihr Spiegelbild, verlor sich darin, zuckte erschrocken, wendete sich ab. Hin und wieder drehte sie sich dem Raum zu, der angefüllt war mit hämmernden Tönen von schreienden Gesichtern, untermalt mit dumpfen Chorälen aus verschwiegenen süß riechenden Ecken. Dann war ihr Blick zitternd, ängstlich, huschte von hier nach dort, fand ihn und versackte auf dem Tresen. Die Gläser hatte sie in Reih und Glied neben sich aufgebaut, eines nach dem Anderen, gerade so als wollte sie die Zeit an ihnen neu vermessen. Doch die Zeit gebar sich gerade irgendwo neu  - nur nicht hier - an jenem Abend. Sie zündete sich eine Zigarette an, das Feuerzeug entzog sich dem fahrigen Impuls, entflammte dann doch und gierig sog sie den Rauch in ihr Innerstes, stoß ihn in langen Fäden wieder aus. Die Anspannung, die ihren Körper beherrschte, war fast spürbar für ihn, löste leichte Wellenbewegungen aus. Unbeirrbar fanden diese den Weg zu ihm, berührten, elektrisierten ihn, schlugen nun Töne an. Immer wieder musste er nun seinen Blick zu ihr wenden, betrachtete sie, genoss dieses Klirren und versagte sich wieder ihrer Wirkung, wog hin und her in dieser schmerzenden Lust. Irgendwann hatten sie Worte gewechselt und irgendwann waren sie zu ihr gegangen, hatten sich die Kleider vom Leib gerissen. Sie zerflossen ineinander, zerstörten sich, bäumten sich auf in der Nacht und hielten sich fest ineinander verharkt, um im nächsten Augenblick zu verharren, Atem zu holen, um weiter zu stürzen, - als gäbe es kein Morgen, keinen Tag, keine Hoffnung, kein Recht und kein Wollen auf dieses Leben. Fast verzweifelt rissen sie es dennoch an sich und entrissen sich die Seele. Jede Faser, jedes Pochen des Herzens raubten sie sich. Manchmal ein stummer Schrei, in einem grauen leeren Nichts an irgendwen gerichtet, von irgendwoher kommend - nur nicht hier - in jener Nacht.

Als er erwachte hatte er etwas Mühe, seine Kleidung zu finden, bemerkte die schemenhaften Schatten, die einen Raum umschlossen. Irgendwo vernahm er stoßhafte Atemzüge. Er verlies das Zimmer. Im Flur kleidete er sich an, sah Kinderzeichnungen an der Wand. Er ging.

Er zog eine Zigarette aus der Schachtel, zündete sie an und ging eine ihm unbekannte Straße entlang, bog um Ecken die er nicht erkannte, erschrak über den Hall seiner Schritte. Der Tag hatte sich noch nicht all den Hoffnungen entgegen gestreckt, lag lauernd im Morgengrauen, schärfte sich die Krallen für all die verirrten Träume und Gedanken.

In seiner Wohnung angekommen, holte er eine alte Leinwand hervor. Kurz erschrak er darüber begann dann aber plötzlich fieberhaft, Tube um Tube auf der Palette auszudrücken und setzte an. In staccatoartigen Pinselschlägen trieb er Gelb über die Leinwand, setzte Schwarz und Rot hinterher, traktierte die Flächen mit Spachtel und Messer, wühlte auf, zerschnitt, hielt inne, versengte sich im Fleische, riss heraus und stieß es von sich. Manchmal gesellten sich verspielte Linien in die Flächen, umgarnten Tiefen und Höhen, um bald darauf mit breitem Pinsel vertrieben im Untergrund zu vergehen. Nichts als ein bleicher Abgesang blieb von ihnen zurück, darüber aber türmten sich Akzente, die immer wieder neu zu zerbrechen schienen, zu zerschellen drohten und schrill aufbegehrten. Vereinzelt triumphierten satte Gelb- und Rottöne über tiefem brach liegendem sattem Schwarz.

Erst nach Stunden wurde er ruhiger, war erschöpft, fast der Bewusstlosigkeit nahe und doch ...

... Nadine ???

ng2013